Revision des Schweizerischen Aktienrechts: Aktionärsrechte

1. Aktionärsrechte - Mitwirkung und Vertretung

Die Aktionäre üben ihre Rechte bezüglich der Gesellschaft an der Generalversammlung aus. Zu ihren Rechten gehören unter anderem die Wahl der Mitglieder des Verwaltungsrates und der Revisionsstelle, die Genehmigung des Lageberichts und der Jahresrechnung sowie die Beschlussfassung über die Verwendung des Bilanzgewinnes. Grundsätzlich können die Aktionäre wählen, ob sie persönlich oder durch einen Vertreter ihrer Wahl an der Generalversammlung teilnehmen wollen.

Das nOR unterscheidet zwischen mehreren Arten von Vertretern: (i) dem unabhängigen Stimmrechtsvertreter, (ii) dem Depotvertreter, (iii) dem Organstimmrechtsvertreter, (iv) einem anderen Aktionär und (v) einem Dritten, der nicht Aktionär ist.

In diesem Zusammenhang gibt es jedoch erhebliche Unterschiede zwischen den Vorschriften für Gesellschaften, deren Aktien an einer Börse kotiert sind und für Gesellschaften, deren Aktien nicht an einer Börse kotiert sind.

Der unabhängige Stimmrechtsvertreter

Der unabhängige Stimmrechtsvertreter kann eine natürliche oder juristische Person oder eine Personengesellschaft sein, sofern seine Unabhängigkeit weder tatsächlich noch dem Anschein nach beeinträchtigt ist. Das nOR sieht ferner vor, dass der unabhängige Stimmrechtsvertreter das Stimmrecht der Aktionäre weisungsgemäss ausübt und sich bei Fehlen einer solchen Weisung der Stimme enthält.

Gesellschaften, deren Aktien nicht an einer Börse kotiert sind:

Die Statuten von Gesellschaften, deren Aktien nicht an einer Börse kotiert sind, können das Recht der Aktionäre, sich durch Dritte vertreten zu lassen, insofern einschränken, als nur andere Aktionäre als Vertreter auftreten dürfen. Das nOR sieht vor, dass im Falle einer solchen Einschränkung der Verwaltungsrat auf Verlangen eines Aktionärs einen unabhängigen Stimmrechtsvertreter oder einen Organstimmrechtsvertreter (vgl. unten) bezeichnen muss, den die Aktionäre mit der Ausübung der Mitwirkungsrechte beauftragen können. Der Verwaltungsrat hat die Aktionäre spätestens 10 Tage vor der Generalversammlung entsprechend zu informieren. Kommt der Verwaltungsrat seinen Pflichten nicht nach, so können sich die Aktionäre durch einen beliebigen Dritten vertreten lassen.

Sofern die Statuten der Gesellschaft die Möglichkeit vorsehen, Generalversammlungen im Ausland abzuhalten und die Gesellschaft davon Gebrauch macht (vgl. unseren Newsletter zur Revision des schweizerischen Aktienrechts: Generalversammlung und Beschlüsse (Teil 2); Dezember 2022), ist der Verwaltungsrat verpflichtet, einen unabhängigen Stimmrechtsvertreter zu ernennen, es sei denn, alle Aktionäre verzichten auf dieses Erfordernis.

Gesellschaften, deren Aktien an einer Börse kotiert sind:

Die ordentliche Generalversammlung börsenkotierter Gesellschaften muss einen unabhängigen Stimmrechtsvertreter ernennen, dessen Amtsdauer 1 Jahr beträgt. Die Generalversammlung kann den ernannten unabhängigen Stimmrechtsvertreter erst auf das Ende der nächsten ordentlichen Generalversammlung abberufen. Unterlässt es die Generalversammlung, einen unabhängigen Stimmrechtsvertreter zu ernennen, so ist der Verwaltungsrat der Gesellschaft verpflichtet, dies zu tun.

Der Depotvertreter

Gesellschaften, deren Aktien nicht an einer Börse kotiert sind:

Als Depotvertreter von Aktien von Gesellschaften, deren Aktien nicht an einer Börse kotiert sind, gelten gemäss dem nOR Institute nach dem Bankengesetz vom 8. November 1934 und Finanzinstitute nach dem Finanzinstitutsgesetz vom 15. Juni 2018. Depotvertreter sind verpflichtet, vor einer Generalversammlung von den Hinterlegern Weisungen für die Stimmabgabe einzuholen. Können die Weisungen eines Hinterlegers nicht rechtzeitig eingeholt werden, so übt der Depotvertreter das Stimmrecht gemäss einer allgemeinen Weisung des betreffenden Hinterlegers aus oder enthält sich der Stimme, falls keine Weisungen vorliegen.

Gesellschaften, deren Aktien an einer Börse kotiert sind:

Die Bestimmungen über Depotvertreter sind nicht anwendbar auf Gesellschaften, deren Aktien an einer Börse kotiert sind.

Der Organstimmrechtsvertreter

Gesellschaften, deren Aktien nicht an einer Börse kotiert sind:

Gesellschaften, deren Aktien nicht an einer Börse kotiert sind, können ein Mitglied eines Gesellschaftsorgans als Organstimmrechtsvertreter benennen und die Aktionäre können ihm/ihr Weisungen betreffend Stimmabgabe an der Generalversammlung erteilen.

Gesellschaften, deren Aktien an einer Börse kotiert sind:

Die Bestimmungen über Organstimmrechtsvertreter sind nicht anwendbar auf Gesellschaften, deren Aktien an einer Börse kotiert sind.

Ein anderer Aktionär oder eine Drittpartei

In der Regel können die Aktionäre ihre Mitwirkungsrechte (insbesondere das Stimmrecht) persönlich oder durch einen Vertreter ihrer Wahl, indem sie diesem eine Vollmacht erteilen, ausüben. In Gesellschaften, deren Aktien nicht an einer Börse kotiert sind, kann die Vertretung durch eine andere Person jedoch auf die Vertretung durch einen anderen Aktionär beschränkt werden. In diesem Fall können die Aktionäre die Bezeichnung eines unabhängigen Stimmrechtsvertreters verlangen (vgl. oben). In Gesellschaften, deren Aktien an einer Börse kotiert sind, ist eine solche Beschränkung nicht zulässig.

2. Aktionärsrechte - Recht auf Auskunft, Einsichtnahme und Sonderuntersuchung

In der Regel ist der Verwaltungsrat verpflichtet, den Aktionären alle Informationen zur Verfügung zu stellen, welche die Generalversammlung benötigt, um über jedes Traktandum, das zur Abstimmung gestellt werden kann, zu beschliessen. Darüber hinaus hat das nOR die Auskunfts- und Einsichtsrechte der Aktionäre erweitert, insbesondere in Gesellschaften, deren Aktien nicht an einer Börse kotiert sind.

Auskunftsrecht

An der Generalversammlung ist jeder Aktionär berechtigt, vom Verwaltungsrat Auskunft über die Angelegenheiten der Gesellschaft sowie von der Revisionsstelle Auskunft über Durchführung und Ergebnis ihrer Prüfung zu verlangen.

In Gesellschaften, deren Aktien nicht an einer Börse kotiert sind, können Aktionäre, die zusammen mindestens 10 % des Aktienkapitals oder der Stimmen vertreten, ausserhalb der Generalversammlung vom Verwaltungsrat schriftlich Auskunft über Angelegenheiten der Gesellschaft verlangen. Der Verwaltungsrat ist verpflichtet, (i) die verlangte Auskunft innerhalb von 4 Monaten nach Eingang der Anfrage zu erteilen und (ii) die Antworten allen (anderen) Aktionären spätestens an der nächsten Generalversammlung zur Einsicht aufzulegen.

Einsichtsrecht

Was das Recht der Aktionäre auf Einsicht in die Geschäftsbücher und Akten der Gesellschaft betrifft, so unterscheidet das nOR nicht zwischen Gesellschaften, deren Aktien an einer Börse kotiert sind und Gesellschaften, deren Aktien nicht an einer Börse kotiert sind. Aktionäre, die zusammen mindestens 5 % des Aktienkapitals oder der Stimmen vertreten, können eine solche Einsicht verlangen. Wie beim Auskunftsrecht ist der Verwaltungsrat verpflichtet, die Einsicht innerhalb von 4 Monaten nach Eingang der Anfrage zu gewähren.

Schranken und Gerichtsverfahren

Die Pflicht des Verwaltungsrats zur Gewährung der Auskunfts- bzw. Einsichtsrechte beschränkt sich auf die Informationen, die für die ordnungsgemässe Ausübung der Aktionärsrechte erforderlich sind. Der Verwaltungsrat kann die Auskunft oder Einsicht verweigern, wenn durch die Erfüllung des Begehrens der Aktionäre Geschäftsgeheimnisse oder andere schutzwürdige Interessen der Gesellschaft gefährdet würden. Die Verweigerung der Auskunft und/oder Einsicht ist schriftlich zu begründen.

Wird die Auskunft oder Einsicht ganz oder teilweise verweigert bzw. verunmöglicht, können die Aktionäre innerhalb von 30 Tagen vom Gericht die Anordnung der Auskunft oder Einsicht verlangen.

Recht auf Einleitung einer Sonderuntersuchung

Das Recht, eine Sonderuntersuchung zu beantragen, ist konzeptionell ein subsidiäres Recht der Aktionäre. Jeder Aktionär, der von seinem Auskunfts- oder Einsichtsrecht Gebrauch gemacht hat, kann der Generalversammlung beantragen, bestimmte Sachverhalte durch unabhängige Sachverständige untersuchen zu lassen. Entspricht die Generalversammlung dem Antrag, so kann die Gesellschaft oder jeder Aktionär innert 30 Tagen dem Gericht beantragen, die Sachverständigen zu bezeichnen, welche die Sonderuntersuchung durchführen. Entspricht die Generalversammlung dem Antrag nicht, so können Aktionäre, die zusammen mindestens über eine der folgenden Beteiligungen verfügen:

  • 5 % des Aktienkapitals oder der Stimmen von Gesellschaften, deren Aktien an einer Börse kotiert sind; oder
  • 10% des Aktienkapitals oder der Stimmen von Gesellschaften, deren Aktien nicht an einer Börse kotiert sind,

innerhalb von drei Monaten vom Gericht die Anordnung einer Sonderuntersuchung verlangen.

Das Gericht ordnet die Sonderuntersuchung an, wenn die Gesuchsteller glaubhaft machen, dass (i) die Gründer oder die Organe der Gesellschaft das Gesetz oder die Statuten verletzt haben und (ii) die Verletzung geeignet ist, die Gesellschaft oder die Aktionäre zu schädigen.

Die Sachverständigen berichten schriftlich einlässlich über das Ergebnis ihrer Untersuchung. Wurde die Sonderuntersuchung durch das Gericht angeordnet, so legen die Sachverständigen ihren Bericht dem Gericht vor. Das Gericht stellt den Bericht der Gesellschaft zu und entscheidet,ob Teile des Berichts Geschäftsgeheimnisse oder andere schutzwürdige Interessen der Gesellschaft verletzen und deshalb den Gesuchstellern nicht vorgelegt werden dürfen. Schliesslich muss der Verwaltungsrat den Aktionären an der nächsten Generalversammlung den Bericht der Sachverständigen sowie die Stellungnahmen des Verwaltungsrats und der Gesuchsteller unterbreiten.

Sollten Sie Fragen zum nOR haben oder Unterstützung in gesellschaftsrechtlichen Angelegenheiten benötigen, zögern Sie bitte nicht, unsere Spezialisten in Genf, Lugano oder Zürich zu kontaktieren. Wir sind Ihnen gerne behilflich.