Übertragung von Vermögenswerten an die nächste Generation

Übertragung von Vermögenswerten an die nächste Generation

Einleitung

Bei Krankheit und Pflegebedürftigkeit im Alter können Kosten anfallen, welche das Renten­einkommen übersteigen und Erspartes aufzehren. Wenn finanzielle Bedürftigkeit eintritt, stellt sich die Frage, wer für die Kosten aufkommen muss: Sind es die Sozialversicherungen, die Verwandten oder beide? Und was ist, wenn die bedürftige Person in früheren Jahren einen Teil oder Grossteil ihres Vermögens verschenkt hat?

Angelpunkt aus sozialversicherungsrechtlicher Sicht sind hierbei die Ergänzungsleistungen zur AHV/IV (kurz: EL). Hinzu kommen die Bestimmungen aus dem Ehe- und Familienrecht. Nachfolgend zeigen wir auf, wie diese Bestimmungen zusammenspielen, welche Vorkehrungen sich aufs Alter hin empfehlen und was man im Hinblick auf eine allfällige Unterstützungspflicht gegenüber den Eltern zu bedenken hat.

Ergänzende Leistungen zur AHV-IV "EL"

Ziel der EL ist die Existenzsicherung von Personen, die eine AHV- oder eine IV-Rente beziehen und ihren Unterhalt nicht mit eigenen Mitteln bestreiten können. Die EL entsprechen der Differenz zwischen den anerkannten Ausgaben (Wohn- und Verpflegungskosten, medizinische Ver­sorgung usw.) und den anrechenbaren Einnahmen (AHV/IV-Renten, Vermögen usw.). Nebst dem Sozial­versicherungsrecht sieht das Eherecht Unterhaltspflichten zwischen den Ehegatten und das Familienrecht eine Verwandtenunterstützungspflicht der Kinder gegenüber den Eltern vor.

Ein praktisches Beispiel

A und B, beide Mitte vierzig, sind seit mehreren Jahren verheiratet und haben ein gemeinsames Kind. Sie leben in einer klassischen Rollenverteilung: B betreut das Kind und A erzielt ein Einkommen von jährlich CHF 250'000.-. Der Vater von B ist verstorben; ihre Mutter ist pflegebedürftig geworden und musste in ein betreutes Heim umziehen. Das Renteneinkommen der Mutter von B reicht nicht aus, um die Pflege- und Betreuungskosten zu decken. Ein Teil ihres Vermögens hatte sie bereits in früheren Jahren verschenkt. Muss das Ehepaar die Mutter von B finanziell unterstützen oder erhält sie Ergänzungsleistungen von der Sozialversicherung?

Ergänzende Leistungen und freiwilliger Verzicht auf Vermögen

Die EL helfen dort, wo die Renten und das Einkommen nicht die minimalen Lebenshaltungskosten decken. Ein Anspruch auf EL besteht grundsätzlich für den Monat, in dem die persönlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen gegeben sind. Gemäss dem Berechnungsgrundsatz in Art. 9 Abs. 1 ELG entspricht die jährliche Ergänzungsleistung dem Betrag, um den die in Art. 10 ELG abschliessend aufgezählten anerkannten Ausgaben (Lebensbedarf, Miete, Gewinnungskosten, …) die anrechenbaren Einnahmen gemäss Art. 11 ELG übersteigen.

Grundsätzlich gilt für die Anrechnung der Einnahmen, dass nur tatsächlich erhaltene Einkünfte und Vermögenswerte berücksichtigt werden, über welche die EL-berechtigte Person vollumfänglich verfügen kann. Dieser Grundsatz wird mit dem Verzichtstatbestand von Art. 11 Abs. 1 lit. g ELG eingeschränkt, wonach auch jene Einkünfte und Vermögenswerte anzurechnen sind, auf die verzichtet worden ist. Ein Verzicht liegt in der Regel vor, wenn die Entäusserung von Vermögens­werten ohne Rechtspflicht oder zwingenden Grund erfolgte und keine gleichwertige Gegenleistung vereinbart wurde. Als Vermögensverzicht werden regelmässig Schenkungen, Erbvorbezüge oder der Verkauf von Liegenschaften unter Marktwerkt anerkannt.

Der Umfang des Vermögensverzichts wird mittels des Verkehrswerts im Zeitpunkt der Entäusserung ermittelt. Spätere Wertsteigerungen bleiben in der Regel unberück­sichtigt. Der anzurechnende Betrag von Verzichtsvermögen wird jährlich um CHF 10'000 vermindert (Amortisationsgedanke), wobei die Reduktion im zweiten Jahr nach dem Verzicht beginnt. Eine Verjährungs- oder Rückwirkungsfrist gibt es nicht.

Verzichtsvermögen wird wie effektiv vorhandenes Vermögen behandelt, weshalb ein Vermögens­freibetrag in Abzug gebracht werden kann. Der Vermögensfreibetrag beträgt bei Alleinstehenden CHF 37'500 und bei Ehepaaren CHF 60'000.

Zum Beispiel: Die alleinstehende AHV-Rentnerin schenkte ihrer Tochter im Jahr 2015 ein Betrag von CHF 250'000. Drei Jahre später gerät sie in finanzielle Bedrängnis und wäre auf EL angewiesen. Die Schenkung wird als Vermögensverzicht betrachtet, angerechnet werden ihr aber nur CHF 230'000 (Reduktion von jeweils CHF 10'000 in den Jahren 2017 und 2018). Von diesem anrechenbaren Vermögensverzicht wird noch der Freibetrag für Alleinstehende von CHF 37'500 abgezogen. Es verbleibt ein anrechenbares Vermögen von CHF 192'500.-, womit der Anspruch auf EL entfällt.

Pflicht zur finanziellen Unterstützung von Angehörigen

Die Verwandtenunterstützung ist subsidiär gegenüber den EL zur AHV/IV. Die gegenseitige Unterstützungspflicht in auf- und absteigender Linie (Kinder–Eltern–Grosseltern) ist in den Artikeln 328 und 329 ZGB geregelt. Pflichtig sind in erster Linie Eltern gegenüber (mündigen) Kindern und umgekehrt. Weder unterstützungspflichtig noch unterstützungsberechtigt sind hingegen Geschwister, Stiefeltern und Stiefkinder sowie verschwägerte Personen.

Anspruch auf Verwandtenunterstützung hat, wer ohne diesen finanziellen Beistand in Not geraten würde. Nach der Rechtsprechung befindet sich in einer Notlage, wer sich das zum Lebensunterhalt Notwendige nicht mehr aus eigener Kraft beschaffen kann, d.h. Nahrung, Kleidung, Wohnung sowie ärztlicher Betreuung und Heilmitteln bei Krankheit.

Gemäss Art. 328 Abs. 1 ZGB sind nur Verwandte unterstützungspflichtig, die in günstigen Verhältnissen leben. Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung lebt in günstigen Verhältnissen, wem aufgrund seiner Einkommens- und Vermögenssituation eine wohlhabende Lebensführung möglich ist. Massgebende Bemessungsgrundlage ist das steuerbare Einkommen zuzüglich Vermögensverzehr. Die Prüfung der Unterstützungsfähigkeit erfolgt deshalb nur, wenn die Einkom­menszahlen der Verwandten über den nachfolgenden Sätzen liegen (vgl. auch SKOS-Richtlinien):

  • Alleinerziehende: CHF 120'000
  • Verheiratete: CHF 180'000
  • Zuschlag pro Kind: CHF 20'000

Vom steuerbaren Vermögen können zudem die folgenden Freibeiträge abgezogen werden:

  • Alleinstehende: CHF 250'000
  • Verheiratete: CHF 500'000
  • Zuschlag pro Kind: CHF 40'000

Resultiert nach diesen Abzügen ein Überschuss, so wird die Hälfte davon als Verwandtenbeitrag angerechnet bzw. eingefordert.

Anwendung auf das Ausgangsbeispiel

Was bedeuten diese Regelungen für die Familie A und B? Wie erwähnt, kann sich die Mutter von B die Pflege- und Betreuungskosten nicht mehr leisten und wäre auf EL angewiesen. Der EL-Anspruch entfällt jedoch wegen dem freiwilligen Vermögensverzicht. Bevor nun die Sozialhilfe einspringt, wird geprüft, ob Verwandtenunterstützung geschuldet ist. Müssen die Ehegatten A und B aufgrund ihres Vermögens und hohen Einkommens einen finanziellen Beitrag an die Lebenshaltungskosten der Schwiegermutter leisten?

Nach den Richtlinien der SKOS berechnet sich die Verwandtenunterstützungspflicht wie folgt:

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Zwei Anmerkungen hierzu: 1) Der Kinderzuschlag gilt nur für minderjährige oder sich in Ausbildung befindende Kinder; 2) A ist nur indirekt unterstützungspflichtig, weil er mit B verheiratet ist. Als Schwiegersohn wäre A nicht von der Verwandtenunterstützungspflicht betroffen, da diese nur Personen in ab­steigender Linie umfasst. Die indirekte Unterstützungspflicht besteht aber solange A und B verheiratet sind. Aus diesem Grund wir die Hälfte der ermittelten Differenz noch einmal halbiert.

A müsste mit einer Unterstützungspflicht von knapp CHF 1'400 im Monat rechnen.

Ausblick und Kommentar

Das System der EL steht zwei Herausforderungen gegenüber: Den demografischen Veränderungen sowie den institutionellen und gesetzlichen Anpassungen. Seit vielen Jahren schlagen sich der zu­nehmende Anteil älterer Menschen, die steigende Lebenserwartung und der zunehmende Pflege­bedarf auf die EL-Kosten nieder. Eine Reform wurde deshalb als notwendig erachtet und am 22. März 2019 vom Parlament verabschiedet. Mit dem neuen Gesetz werden die Voraussetzungen insofern verschärft, als die Freibeträge reduziert werden. Das Referendum wurde nicht ergriffen, so dass der Bundesrat die Reform voraus­sichtlich auf 2021 hin in Kraft setzen wird.

Es wird also auch in Zukunft keine Möglichkeit geben, aufs Alter hin Vermögenswerte an die nächste Generation zu übertragen und im Falle der Bedürftigkeit auf die Systeme der Sozial­versicherung zurückzufallen. Für die ältere Generation gilt es zu bedenken, dass die geschenkten Vermögenswerte als freiwilliger Vermögensverzicht angerechnet werden können, und zwar über längere Zeit mit einer Amortisation von lediglich CHF 10'000.- pro Jahr. Für Nachkommen gilt es im Auge zu behalten, dass sie unter Umständen aus ihren eigenen Mitteln an die Kosten der Pflege und des Unterhalts der Eltern beizusteuern haben.