Mietzins auch während Corona-Lockdown voll geschuldet
Das Bezirksgericht Zürich hat – soweit den Autoren bekannt – das erste Urteil in der Frage, ob die Mietzinsen auch während behördlicher Schliessung von Betrieben oder anderen Einschränkungen (z.B. Beschränkung der maximalen Anzahl Kunden im Geschäftslokal) während der COVID-19 Pandemie (nachfolgend"Covid-19-Massnahmen") gefällt (MJ210008; ZMP 2021 Nr. 10). Dabei klagte die Vermieterin eines Ladenlokals auf Zahlung von mehreren Monatsmietzinsen, welche die Mieterin in 2020 und 2021 mit Hinweis auf die behördlichen Massnahmen ganz oder teilweise nicht bezahlte.
Die Parteien brachten die in diesem Zusammenhang oft gehörten Argumente und Gegenargumente vor und das Gericht kam nach deren Prüfung zum Schluss, dass der Mietzins auch für die Dauer der COVID-19 Massnahmen geschuldet gewesen sei.
Im Einzelnen:
- Zunächst ist auf den Mietvertrag abzustellen und zu prüfen, ob eine spezifische Regelung betreffend Risikotragung in Fällen von behördlichen Schliessungen getroffen wurde. In vorliegender Angelegenheit enthielt der Mietvertrag – wie wohl die meisten Mietverträge – jedoch keine Bestimmungen diesbezüglich. Nach Ansicht der Autoren ist diesbezüglich wohl eine explizite Regelung für die Zukunft vorzusehen und zwischen den Parteien zu verhandeln, sofern hier Klarheit geschaffen werden soll.
- Nachträgliche Unmöglichkeit (Art. 119 OR), d.h. durch Umstände, die nicht vom Mieter zu verantworten sind, ist seine Leistung unmöglich geworden: Liegt ein Fall von nachträglicher objektiver unverschuldeter Unmöglichkeit vor, ist der Schuldner nicht mehr verpflichtet die Leistung zu erbringen. Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung ist allerdings eine nachträgliche Unmöglichkeit nur dann gegeben, wenn diese mit Sicherheit bis zum Vertragsende oder zumindest auf nicht absehbare Zeit bestehen bleibt. Diese Voraussetzung ist bei den COVID-19 Massnahmen zum vornherein nicht gegeben, da diese jeweils nur wenige Wochen Bestand hatten und der Wegfall von Anfang an absehbar war.
- Teilunmöglichkeit nachträgliche Unmöglichkeit, die jedoch auch nur einen Teil der Leistungen des Schuldners betreffen, z.B. wenn der Mieter das Mietobjekt nurmehr teilweise verwenden kann (wird nur von einem Teil der Lehre vertreten). Dabei ist zwischen Zweckverfehlung (zu erzielender Leistungserfolg im Rahmen eines Schuldverhältnisses, der zum Inhalt der geschuldeten Leistung gehört, kann nicht mehr eintreten) und blosse Verwendungsunmöglichkeit (der Schuldner kann die Sache nicht (mehr) für den vorgesehenen Zweck gebrauchen, aber der Zweckgebrauch ist nicht Inhalt der geschuldeten Leistung) zu unterscheiden. Zu prüfen mittels Vertragsauslegung ist folglich, ob der Vermieter neben der Verpflichtung das Mietobjekt zur Verfügung zu stellen auch noch die Verantwortung dafür übernommen hat, dass der Mieter das Mietobjekt auch entsprechend verwenden kann. Im vorliegenden Fall kam das Gericht zum Schluss, dass blosse Verwendungsunmöglichkeit vorliegt, da der Vermieter keine Pflicht zur tatsächlichen spezifischen Verwendung übernommen hat und damit keine Teilunmöglichkeit vorliegt.
- Mangel am Mietobjekt, d.h. durch die COVID-19 Massnahmen ist das Mietobjekt, wie z.B. ein Ladenlokal oder ein Restaurant, nicht mehr zum vertraglich vereinbarten Gebrauch tauglich, da es ohne oder mit eingeschränktem Publikumsverkehr, nicht mehr zweckkonform genutzt werden kann: Nach dem Urteil des Landgerichts und der herrschenden Lehre gehören zur vereinbarten Beschaffenheit der Mietsache grundsätzlich nur objektbezogene, nicht aber betriebsbezogene Eigenschaften. Der Betrieb fällt in die Rechts- und Risikosphäre des Mieters, es sei denn, es gibt eine besondere Vereinbarung zwischen den Parteien dazu. Andernfalls würde sich der Vermieter am Betriebsrisiko des Mieters beteiligen, was aber nicht Inhalt eines klassischen (Geschäfts-)Mietvertrages ist. Die behördlichen Sperrungen und Einschränkungen während der COVID-19-Pandemie stellen daher keinen Mangel der Mietsache dar und die Mietsache entsprach der vertraglich vereinbarten Tauglichkeit, da die COVID-19-Maßnahmen keinen Einfluss auf das Objekt selbst und nur auf den Betrieb in der Mietsache hatten.
- Clausula rebus sic stantibus, richterliche Vertragsanpassung bei veränderten Verhältnissen: Die richterliche Anpassung eines Vertrages ist möglich, sofern sich die Umstände, unter welchen ein Vertrag abgeschlossen wurde, weder vorhersehbar noch vermeidbar verändern und damit eine gravierende Äquivalenzstörung eintritt und der Vertrag nicht vorbehaltlos erfüllt wird. Dies ist vom Mieter zu belegen. Da sich der Mieter unter Hinweis auf das Geschäftsgeheimnis und den Datenschutz im konkreten Fall weigerte den behaupteten Umsatzrückgang im Detail zu belegen, überprüfte das Gericht die Frage nicht näher. Den Ausführungen des Gerichts kann aber entnommen werden, dass es bei den COVID-19 Massnahmen wohl an der notwendigen Intensität fehlte, um einen derartig gravierenden Eingriff des Richters in ein Vertragsverhältnis zu rechtfertigen.
Schliesslich ist noch darauf hinzuweisen, dass nach der hier vertretenen Ansicht, weder Mieter noch Vermieter gültige Argumente aus der Tatsache schöpfen können, dass das COVID-19 Geschäftsmietegesetz im Parlament gescheitert ist. Ein Teil des Parlaments wollte bekanntlich per Gesetz rückwirkend in Parteivereinbarungen eingreifen und nachträglich die zwischen den Parteien vertraglich getroffenen Abmachungen abändern. Ein solcher Eingriff hätte insbesondere klar den fundamentalen Grundsätzen der Parteiautonomie und pacta sunt servanda (Verträge sind zu erfüllen) widersprochen und wäre damit systemwidrig gewesen. Es ist der Mehrheit des Parlaments zugutezuhalten, dass schliesslich erkannt wurde, dass mit Gesetzen keine Einzelfallgerechtigkeit herbeigeführt und diese Angelegenheit den Gerichten überlassen werden kann, welche aufgrund der geltenden gesetzlichen Grundlagen entscheiden. Aus dem Scheitern einer systemwidrigen und politisch motivierten Idee, können jedoch weder Vermieter noch Mieter etwas zu ihren Gunsten ableiten.
Zu beachten ist: Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig und die Sache kann von den nächsten Instanzen anders beurteilt werden. Auch ist nicht ausgeschlossen, dass Gerichte in anderen Kantonen zu anderen Schlüssen kommen. Das sauber redigierte und begründete Urteil ist aber in weiten Teilen überzeugend. Es ist in jedem Fall zu hoffen, dass diese Fragen so bald als möglich eine höchstrichterliche Beurteilung erhalten und hier Rechtssicherheit herrscht.