Erste-Hilfe-Kasten für Unternehmen

Der Verwaltungsrat als oberstes Leitungsorgan der Aktiengesellschaft hat gemäss Art. 716a OR unentziehbare Pflichten, die auch bei einer Delegation an das Management bei ihm verbleiben. In finanziell schwierigen Zeiten rücken insbesondere die Oberleitung und Oberaufsicht über das Unternehmen, die Festlegung der Organisation und des Managements sowie die Ausgestaltung des Rechnungswesens, der Finanzkontrolle und der Finanzplanung in den Vordergrund. Um das Unternehmen durch Krisenzeiten zu navigieren und somit Arbeitsplätze zu erhalten, hat der Verwaltungsrat auch die Liquidität zu sichern, die Ertragskraft durch Restrukturierung zu stärken, die Kosten zu kontrollieren, die Verbindlichkeiten anzupassen und genügend Eigenkapital sicherzustellen.

Zudem trifft den Verwaltungsrat eine konkrete Handlungspflicht zur Sanierung, wenn das Unternehmen einen Kapitalverlust aufweist; d.h. wenn der Verlust die Hälfte des Eigenkapitals - bestehend aus dem Aktienkapital, den offenen Reserven und den Gewinnvorträgen - übersteigt. Übersteigt der Verlust das Eigenkapital des Unternehmens gesamthaft, so liegt eine Überschuldung vor, und der Verwaltungsrat hat unverzüglich den Konkursrichter zu benachrichtigen, sofern keine Massnahmen für die sofortige Beseitigung der Überschuldung ergriffen werden können.

Allerdings hat der Bundesrat am 20. April 2020 die COVID-19-Verordnung Insolvenzrecht in Kraft gesetzt, welche die Bestimmungen über den Kapitalverlust und die Überschuldung modifizieren (mehr hierzu in unserem Newsletter). Nachstehend werden mögliche Massnahmen zur Stärkung der Finanzlage eines Unternehmens aufgeführt, welche je nach Bedarf einzeln oder kombiniert umgesetzt werden können.

Maßnahmen in Bezug auf Verbindlichkeiten und Schulden

  • Kurzarbeit: Das Instrument der Kurzarbeit soll vorübergehende Beschäftigungseinbrüche ausgleichen und Arbeitsplätze erhalten. Die Kurzarbeitsentschädigung wird an die Arbeitgeber ausgerichtet, wobei diese verpflichtet sind, die Kurzarbeitsentschädigung vorzuschiessen und den Arbeitnehmern die Löhne am ordentlichen Zahltagstermin auszurichten. Aufgrund der aktuellen wirtschaftlichen Ausnahmesituation hat der Bundesrat verschiedene Massnahmen getroffen, um eine schnellere Abwicklung der Kurzarbeitsentschädigung zu ermöglichen. Die geplante Kurzarbeit muss beim Kanton schriftlich angemeldet werden (in vielen Kantonen per E-Mail möglich). Die Frist zur Voranmeldung sowie die Karenzfrist (Wartefrist) für die Kurzarbeitsentschädigung wurden aufgehoben und Arbeitnehmer müssen ihre Überstunden nicht mehr vorgängig abbauen. Neu haben auch Aktionäre oder anderswie finanziell Beteiligte sowie höhere leitende Mitarbeitende und deren mitarbeitenden Ehegatten oder eingetragenen Partner Anspruch auf Kurzarbeitsentschädigung. Zudem können Arbeitgeber von nun an – insbesondere für Unternehmen mit Liquiditätsschwierigkeiten wichtig – einen Vorschuss für fällige Lohnzahlungen verlangen, um ihren Arbeitnehmern die Löhne pünktlich ausrichten zu können.
  • Mietzinsreduktionen: Es ist umstritten, ob Mieter eine Mietzinsreduktion verlangen können. Die Stimmen, die sich für eine Reduktion aussprechen, argumentieren, dass das Mietobjekt nicht mehr zum vertraglich vereinbarten Gebrauch geeignet sei, während die Gegenmeinung argumentiert, bei den Massnahmen die der Bundesrat getroffen hat und die jetzt für Umsatzeinbussen sorgen, handle es sich um ein betriebliches Risiko, das sich in der Sphäre des Mieters verwirklicht und von diesem zu tragen ist. Nachdem jedoch auch der Vermieter kein Interesse an einem Konkurs des Mieters haben wird (insbesondere weil Mietzinsforderungen in einem Konkurs nicht privilegiert sind und somit ein hohes Ausfallrisiko besteht sowie weil anschliessend ein Leerstand der Immobilie droht), scheint die Verhandlung einer einvernehmlichen Lösung zwischen den Parteien der beste Weg zu sein. Der Bundesrat hat deshalb eine Task-Force mit verschiedenen Vermieter- und Mieterorganisationen eingesetzt, welche die Fragen zwecks Vermeidung einer Flut von Gerichtsfällen klären soll.
  • Rangrücktritte und Nachrangvereinbarungen: Unternehmensgläubiger erklären, dass ihre Forderung oder Teile davon nachrangig zu anderen Verbindlichkeiten des Unternehmens sind. Nachrangige Forderungen liegen dann wirtschaftlich gesehen zwischen vorgehendem Fremdkapital und Eigenkapital. Bei einem Rangrücktritt erklärt der Gläubiger bei Vorliegen einer Überschuldungssituation den Rangrücktritt gegenüber allen anderen Forderungen im Ausmass der Überschuldung. Damit kann die gesetzliche Pflicht zur unverzüglichen Konkursanmeldung vermieden werden. Bei der Nachrangvereinbarung hingegen wird der Nachrang nicht gegenüber allen anderen Forderungen erklärt, sondern nur gegenüber spezifischen Forderungen, oftmals gegenüber solchen der Bank als Darlehensgeberin. Solche Nachrangvereinbarungen helfen bei der Aufnahme weiterer, vorrangiger Kredite.
  • Aufnahme von Überbrückungskrediten ('Bridge Loans'): Überbrückungskredite helfen kurzfristige Liquiditätsprobleme zu beheben. Der Bundesrat hat in Zusammenarbeit mit den Schweizer Banken die COVID-19-Solidarbürgschaftsverordnung erarbeitet. Schwerpunkt bildet dabei ein Garantieprogramm im Umfang von über 20 Milliarden Schweizer Franken. Unternehmen mit Liquiditätsengpässen sollen dabei verbürgte Überbrückungskredite bis zu 10 Prozent ihres Umsatzes oder maximal 20 Millionen Schweizer Franken zur Verfügung gestellt werden. Die Verordnung schafft zudem die Rahmenbedingungen für eine vereinfachte und beschleunigte Kreditvergabe für Unternehmen, welche eine bestehende Kundenbeziehung zu einer der am Programm teilnehmenden Banken haben. Kredite bis zu CHF 500'000 werden in einem standardisierten Verfahren vergeben und vom Bund zu 100% verbürgt (Kredit COVID-19). Weitere Kredite über CHF 500'000 und bis zu CHF 19'500'000 können in einem vereinfachten Bewilligungsverfahren beantragt werden und werden bei Gutheissung vom Bund zu 85% verbürgt (Kredit COVID 19 Plus). Damit kann ein Unternehmen gesamthaft einen Kredit von bis zu CHF 20'000'000 gemäss den Bestimmungen der COVID-19-Solidarbürgschaftsverordnung bei den Banken beantragen.
  • Zahlungsaufschub von Sozialversicherungsabgaben: Beiträge an die Sozialversicherungen (AHV/IV/EO/ALV) können zinslos aufgeschoben werden. Zusätzlich haben Unternehmen die Möglichkeit, die Höhe der Akontobeiträge an die AHV/IV/EO/ALV anzupassen, sofern die Summe ihrer Löhne sinken.
  • Zahlungsaufschub von Steuern: Zwischen dem 1. März 2020 und dem 31. Dezember 2020 fallen auf allen Steuern, Abgaben und Zöllen des Bundes keine Verzugszinsen an. Dazu gehören insbesondere die direkten Bundessteuern, Mehrwertsteuer, Verrechnungssteuer, Zölle und Abgaben. Der Zahlungsaufschub gilt erst für die Steuern des Bundes. Wir erwarten jedoch, dass viele Kantone für die Staats- und Gemeindesteuern ebenfalls einen zinslosen Aufschub gewähren werden. Die meisten Kantone haben bereits angekündigt, Gesuche für Stundungen und Ratenzahlung grosszügig zu behandeln.
  • Stundung von privatrechtlichen Schulden oder Forderungsverzicht: Wenn ein Unternehmen an Liquiditätsschwäche leidet, kann mit den Gläubigern das Gespräch für eine einstweilige Stundung der Schulden oder gar einen (zumindest teilweisen) Forderungsverzicht gesucht werden. Im Gegenzug können den Gläubigern beispielsweise Besserungsscheine, Genussscheine oder Optionen für eine Beteiligung am Unternehmen angeboten werden ('Equity Kicker'). Genussscheine zum Beispiel berechtigen auf einen Anteil am zukünftigen Gewinn, ohne dass dem Inhaber Stimmrechte zukommen. Wie Genussscheine konkret ausgestaltet sein sollen, ist den Unternehmen weitestgehend freigestellt und lässt ihnen deshalb viel Gestaltungsspielraum.
  • Schuldenumstrukturierungen: In Konzernen können Schulden derart umstrukturiert werden, dass ertragsstarke oder finanziell besser gestellte Gruppengesellschaften die Verbindlichkeiten der angeschlagenen Unternehmen übernehmen.
  • COVID-19-Stundung für KMUs: Der Bundesrat hat per 20. April 2020 die neue COVID-19-Stundung eingeführt. KMUs können ein Gesuch an das zuständige Gericht zur Durchführung eines vereinfachten Nachlassstundungsverfahrens einreichen, um sich während der Ergreifung von Sanierungsmassnahmen vor Betreibungs- und anderen Vollstreckungshandlungen ihrer Gläubiger zu schützen. Voraussetzung ist, dass das betreffend KMU per 31. Dezember 2019 noch nicht überschuldet war oder Rangrücktritte in vollem Umfang der Überschuldung vorlagen. Die COVID-19-Stundung dauert drei Monate und kann einmalig um weitere drei Monate verlängert werden. Während der COVID-19-Stundung kann der Schuldner seine Geschäftstätigkeit fortsetzen, sofern keine berechtigten Interessen von Gläubigern beeinträchtigt werden. Ob die COVID-19-Stundung jedoch für ein KMU sinnvoll ist, hängt von vielen Faktoren ab, zumal die Stundung veröffentlicht wird und somit zu negativen Nebenwirkungen auf die laufende Geschäftstätigkeit führen kann.

Maßnahmen, die das Eigenkapital betreffen:

  • Kapitalerhöhung: Durch eine Kapitalerhöhung wird dem Unternehmen neues Eigenkapital zugeführt. Die Kapitalerhöhung kann in bar, mittels Zuführung von Sachwerten oder durch eine Umwandlung von Fremdkapital in Eigenkapital erfolgen ('Debt/Equity Swap'). Die letzte Variante, die Umwandlung von Fremdkapital in Eigenkapital, führt dem Unternehmen zwar keine neuen Mittel zu, befreit sie aber von Schulden und führt zur Stärkung des Eigenkapitals. Bei Kapitalerhöhungen können auch Vorzugsaktien geschaffen werden, welche den neuen Aktionären Vorteile wie zum Beispiel vorrangige Dividendenberechtigung oder Liquiditätspräferenz verschaffen und somit die notwendigen Anreize für Risikokapitalgeber bieten.
  • Kapitalherabsetzung: Die Kapitalherabsetzung kann zu einem verbesserten Bilanzbild führen und somit auch eine Neuaufnahme von Eigenkapital erleichtern. Für sich allein bringt die Kapitalherabsetzung aber zu wenig und ist nur im Zusammenhang mit weiteren Massnahmen wirklich nützlich.
  • Kapitalschnitt: Beim Kapitalschnitt wird das Aktienkapital herabgesetzt und unmittelbar wieder erhöht. Somit wird das ohnehin schon aufgebrauchte Aktienkapital durch neues Kapital ersetzt. Wird das Aktienkapital wieder auf die gleiche Höhe wie das ursprüngliche Aktienkapital erhöht, kommt das Unternehmen aus gesellschaftsrechtlicher Sicht in den Genuss eines vereinfachten Verfahrens.
  • Zuschuss in die Reserven: Durch einen Zuschuss in die Kapitaleinlagereserven führen die Aktionäre dem Unternehmen neues Eigenkapital zu, ohne dass eine Kapitalerhöhung durchgeführt werden muss. Eine steuerlich anerkannte Kapitaleinlagereserve kann den Aktionären wieder steuerfrei zurückbezahlt werden. Diese Reserven stehen wie der Gewinn allen Aktionären im Verhältnis ihrer Beteiligungen am Unternehmen zu. Wenn die Gesellschaft von mehreren Aktionären gehalten wird, so müsste grundsätzlich jeder Aktionär im Umfang seiner bisherigen Kapitalbeteiligung den Zuschuss in die Kapitaleinlagereserven leisten, ansonsten die nicht leistenden Aktionäre durch die Zuschüsse der leistenden Aktionäre bereichert würden. Bei Gesellschaften, die lediglich von einem Aktionär gehalten werden, stellt sich dieses Problem nicht.
  • Partizipationskapital: Dem Unternehmen wird mit der Schaffung von Partizipationskapital neues Eigenkapital zugeführt. Jedoch kommt den Inhabern von Partizipationsscheinen kein Stimmrecht zu. Damit wird der Unternehmung eine Rekapitalisierung ermöglicht, ohne dass die Stimmrechtsverhältnisse der Aktionäre verändert werden.
  • Sanierungsfusion: Bei einer Sanierungsfusion wird ein angeschlagenes Unternehmen mit einem gesunden Unternehmen fusioniert. Das übernehmende Unternehmen muss über genügend freies Eigenkapital verfügen, um den Kapitalverlust oder die Überschuldung des übernommenen Unternehmens zu decken. Gerade bei Konzernumstrukturierungen kann dies eine effiziente Massnahmen zur Sanierung darstellen.
  • Aufwertung von Aktiven und Aufwertungsreserve: Sofern das Unternehmen einen Kapitalverlust aufweist, können Grundstücke oder Beteiligungen, deren wirklicher Wert über die Anschaffungs- oder Herstellungskosten gestiegen ist, aufgewertet werden. Im Gegenzug ist der entsprechende Betrag als Aufwertungsreserve im Eigenkapital zu verbuchen. Der Revisor muss sodann zuhanden der Generalversammlung bestätigen, dass die gesetzlichen Vorschriften für die Aufwertung eingehalten wurden.

Diese Aufzählung ist nicht abschliessend, in der Notfallapotheke eines Unternehmens gibt es weitere Massnahmen. Die eingangs genannten Pflichten gelten auch für die Geschäftsführer einer GmbH und die aufgeführten Massnahmen können zwar nicht alle, aber grösstenteils auch bei einer GmbH angewendet werden.