Änderungen der Schweizerischen Zivilprozessordnung per 1. Januar 2025
Mitwirkungsverweigerungsrecht von Unternehmensjuristinnen und -juristen in Zivilprozessen (In-House Counsel Privilege)
1. Die neue Bestimmung – Artikel 167a E-ZPO
Das Mitwirkungsverweigerungsrecht von Unternehmensjuristen wird in einem neuen Abschnitt mit dem Titel "Verweigerungsrecht betreffend die Tätigkeit eines unternehmensinternen Rechtsdienstes" in Artikel 167a E-ZPO gesetzlich verankert. Der neue Artikel lautet wie folgt:
" 1. Eine Partei kann die Zusammenarbeit und die Vorlage von Unterlagen im Zusammenhang mit der Tätigkeit ihres internen juristischen Dienstes verweigern, wenn:
a. sie als juristische Person im schweizerischen Handelsregister oder in einem gleichwertigen ausländischen Register eingetragen ist;
b. der Rechtsdienst von einer Person geleitet wird, die über ein kantonales Anwaltspatent verfügt oder die die beruflichen Voraussetzungen für die Ausübung des Anwaltsberufs in ihrem Herkunftsland erfüllt; und
c. die betreffende Tätigkeit würde als Teil der beruflichen Tätigkeit eines Rechtsanwalts angesehen werden.
2. Ein Dritter kann die Zusammenarbeit und die Vorlage von Unterlagen im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit in einer internen Rechtsabteilung unter den in Absatz 1 genannten Bedingungen verweigern.
3. Die Parteien und Dritte können gegen Entscheidungen über die Verweigerung der Zusammenarbeit nach den Absätzen 1 und 2 Einspruch erheben.
4. Die Kosten von Streitigkeiten über das Verweigerungsrecht nach den Absätzen 1 und 2 trägt die Partei oder der Dritte, die bzw. der es geltend macht."
Änderung der Zivilprozessordnung (admin.ch)
2. Weshalb braucht es die neue Regelung?
Grundsätzlich sind Parteien und Dritte in einem Zivilprozess zur Mitwirkung bei der Beweiserhebung verpflichtet. Als Partei, als Zeugin oder als Zeuge müssen sie wahrheitsgemäss aussagen und Urkunden herausgeben. Von dieser Mitwirkungspflicht sind Anwältinnen und Anwälte, die zur berufsmässigen Vertretung berechtigt sind, ausgenommen. Zudem müssen Unterlagen aus dem Verkehr einer Partei oder einer Drittperson mit einer Anwältin oder einem Anwalt nicht herausgegeben werden.
Anders als Regelungen im Ausland stehen in der Schweiz Unternehmensjuristinnen und Unternehmensjuristen heute keine Mitwirkungsverweigerungsrechte zu. Dies kann zu prozessualen Nachteilen für Schweizer Unternehmen insbesondere in ausländischen Gerichtsverfahren führen. Weil es in der Schweiz kein Zeugnis- und Editionsverweigerungsrecht für Mitarbeiter unternehmensinterner Rechtsdienste gibt, können Schweizer Unternehmen beispielsweise in den USA zur Herausgabe von Korrespondenz und Dokumenten ihres internen Rechtsdienstes verpflichtet werden, während das für ihre Kontrahenten in den USA nicht der Fall ist.
Die neue Regelung soll dazu beitragen, die Rechtsposition von Unternehmen zu stärken und ihnen in Rechtsstreitigkeiten einen verbesserten rechtlichen Schutz zu bieten.
3. Was sind die organisatorischen Voraussetzungen für die Geltendmachung des Verweigerungsrechts?
Um das Mitwirkungsverweigerungsrecht in Anspruch nehmen zu können, müssen folgende Voraussetzungen erfüllt sein:
a. Das Unternehmen muss im Handelsregister der Schweiz oder in einem gleichwertigen ausländischen Register eingetragen sein;
b. der firmeninterne Rechtsdienst muss von einer Person geleitet werden, die über ein kantonales Anwaltspatent verfügt oder die beruflichen Voraussetzungen für die Ausübung des Anwaltsberufs in ihrem Herkunftsland erfüllt.
Der Gesetzestext bietet keine Definition des "unternehmensinternen Rechtsdienstes". Unklar ist insbesondere, ob es sich beim Rechtsdienst um eine organisatorisch abgetrennte Einheit im Unternehmen handeln muss oder nicht. Der Gebrauch des Begriffs "Rechtsdienst" deutet auf ein solches Erfordernis hin. Fraglich ist weiter, ob auch Compliance-Abteilungen zum unternehmensinternen Rechtsdienst zu zählen sind, wenn diese nicht dem Leiter Rechtsdienst unterstehen. Nach der hier vertretenen Auffassung sollte dies der Fall sein, wenn die leitende Person über ein kantonales Anwaltspatent verfügt oder die fachlichen Voraussetzungen für die Ausübung des Anwaltsberufs im Herkunftsstaat erfüllt.
Mit dem Erfordernis, dass der Rechtsdienst von einer Person geleitet wird, die über die spezifischen Qualifikationen einer Anwältin oder eines Anwalts verfügt, soll gemäss Botschaft eine gewisse fachliche Qualität des Rechtsdienstes gewährleistet und sichergestellt werden.
4. Umfang und Schranken des Mitwirkungsverweigerungsrechts
Das Mitwirkungsverweigerungsrecht gilt ausschliesslich für die Tätigkeit des unternehmensinternen Rechtsdienstes und nur für Tätigkeiten, die bei einer Anwältin oder einem Anwalt als berufsspezifisch gelten würden.
Wie bei der anwaltlichen Korrespondenz, erstreckt sich das Mitwirkungsverweigerungsrecht auch auf die Unterlagen aus dem Verkehr mit dem unternehmensinternen Rechtsdienst. Dabei spielt es keine Rolle, ob sich die Unterlagen im Herrschaftsbereich des unternehmensinternen Rechtsdienstes befinden oder nicht. Nach der hier vertretenen Auffassung sollte davon auch die Kommunikation mit dem Rechtsdienst einer Gruppen-Gesellschaft erfasst sein.
Was als berufsspezifische Tätigkeit einer Anwältin oder eines Anwaltes gilt, wird im Gesetz nicht definiert. Gemäss Botschaft zur Änderung der ZPO wird bezüglich des Erfordernisses der berufsspezifischen Tätigkeit einer Anwältin oder eines Anwaltes, an die gängige Voraussetzung des anwaltlichen Berufsgeheimnisschutzes angeknüpft. Damit sollen beispielsweise private, politische oder soziale Tätigkeiten von Anwältinnen und Anwälten sowie überwiegend kaufmännische Tätigkeiten, nicht unter die berufsspezifische Tätigkeit fallen, sofern sie nicht unmittelbar mit der anwaltlichen Tätigkeit zusammenhängen.
Als berufsspezifische bzw. anwaltstypische Tätigkeit zählen zweifellos die Vertretung oder Begleitung in Zivilprozessen und die Rechtsberatung im Hinblick auf einen Zivilprozess. Ob beispielsweise auch das Führen von Verhandlungen im Zusammenhang mit Rechtsgeschäften dazu zu zählen ist oder die Durchführung von internen Untersuchungen, ist nicht klar.
Zudem ist zu beachten, dass das Mitwirkungsverweigerungsrecht nur für den Zivilprozess gilt, nicht aber für Straf- und Verwaltungs(straf)verfahren.
Sollten Sie Fragen zu den Änderungen der ZPO haben oder Unterstützung benötigen, zögern Sie bitte nicht, unsere Spezialisten in Genf, Lugano oder Zürich zu kontaktieren. Wir sind Ihnen gerne behilflich.