Vermeidung von Konkursen als Folge von COVID-19: Neue Bestimmungen zu Konkursanmeldungen und Schuldmoratorien

Vermeidung von Konkursen als Folge von COVID-19: Neue Bestimmungen zu Konkursanmeldungen und Schuldmoratorien

Die Verordnung über insolvenzrechtliche Massnahmen zur Bewältigung der Coronakrise (COVID-19-Verordnung Insolvenzrecht) führt zwei neue Massnahmen ein: 1. die Sistierung der Pflicht zur Konkursanmeldung bei überschuldeten Gesellschaften und 2. die vereinfachte COVID-19-Stundung für KMUs. Die COVID-19-Verordnung Insolvenzrecht ist am 20. April 2020 in Kraft getreten und gilt für sechs Monate.

In unserem Newsletter ""Notfallapotheke für Unternehmen" vom März 2020 haben wir Massnahmen aufgeführt, die die Existenz eines Unternehmens während der COVID-19 Krise sichern können. Die Bestimmungen der COVID-19-Verordnung Insolvenzrecht beinhalten weitere Massnahmen zur Hilfe von finanziell angeschlagenen Unternehmen.

Aussetzung der Pflicht zur Insolvenzanmeldung für überschuldete Unternehmen

Bei begründeter Besorgnis einer Überschuldung – d.h. wenn der Verlust das Eigenkapital der Gesellschaft übersteigt und damit das Eigenkapital (Gewinnreserven und Reserven) negativ ist – muss der Verwaltungsrat einer Aktiengesellschaft eine Zwischenbilanz zu Fortführungs- und Veräusserungszwecken erstellen (Art. 725 Abs. 2 OR). Ergibt sich aus dieser, dass eine Überschuldung vorliegt, so hat der Verwaltungsrat umgehend den Konkursrichter zu benachrichtigen, sofern nicht Gesellschaftsgläubiger im Ausmass der Unterdeckung einen Rangrücktritt erklären.

Gemäss der COVID-19-Verordnung Insolvenzrecht ist die Pflicht zur Konkursanmeldung gemäss Art. 725 Abs. 2 OR suspendiert, wenn die Überschuldung die direkte Folge der COVID-19-Pandemie ist. Die Pflicht entfällt jedoch nur, wenn:

  1. Die Gesellschaft per 31. Dezember 2019 nicht bereits überschuldet war; und
  2. Aussicht auf Beseitigung der Überschuldung bis zum 31. Dezember 2020 besteht.

Zu beachten ist ferner Folgendes

  • Der Verwaltungsrat ist nicht von der Pflicht befreit, bereits bei einem der Überschuldung vorgängigen Kapitalverlust gemäss Art. 725 Abs. 1 OR – d.h. wenn der Verlust die Hälfte des Eigenkapitals übersteigt – eine Generalversammlung einzuberufen und dieser Vorschläge zur Sanierung der Gesellschaft zu unterbreiten.
  • Die Prüfung der Zwischenbilanz durch einen zugelassenen Revisor kann unterbleiben. Wird die Zwischenbilanz trotzdem durch einen Revisor geprüft und weist diese eine Überschuldung gemäss Art. 725 Abs. 2 OR auf, hat dieser keine Pflicht zur Benachrichtigung des Konkursrichters, wenn der Verwaltungsrat die Benachrichtigung unterlässt.
  • Der Entscheid, den Konkursrichter nicht zu benachrichtigen, muss schriftlich dokumentiert und begründet werden.
  • Für die Berechnung der Überschuldung gelten COVID-Kredite von bis zu CHF 500'000 bis zum 31. März 2022 nicht als Fremdkapital (Art. 24 der Verordnung zur Gewährung von Krediten und Sicherheiten in Folge des Coronavirus). COVID-Kredite von mehr als CHF 500'000 hingegen gelten e contrario als Fremdkapital und sind bei der Beurteilung eines Kapitalverlustes oder einer Überschuldung zu berücksichtigen.
  • Gemäss Erläuterung des Bundesamtes für Justiz zur COVID-19-Verordnung Insolvenzrecht sind bei der Beurteilung, ob von einer Konkursanmeldung aufgrund einer Überschuldung abgesehen werden kann, entgegen der Bestimmungen von Art. 725 Abs. 2 OR Rangrücktritte nicht zu berücksichtigen: War eine Gesellschaft am 31. Dezember 2019 überschuldet, konnte aber wegen genügend hohen Rangrücktritten ihrer Gläubiger von der Konkursanmeldung abgesehen werden, so kann die Gesellschaft sich nicht auf die Suspendierung der Konkursanmeldungspflicht gemäss COVID-19-Verordnung Insolvenzrecht berufen (anders bei der COVID-19-Stundung, siehe unten). Diese Erläuterung des Bundesamtes für Justiz scheint jedoch nicht sachgerecht. Dies würde bedeuten, dass Gesellschaften, die vor dem 31. Dezember 2019 Rangrücktritte eingegangen sind und durch die Pandemie eine weitere Verschlechterung der finanziellen Situation erfahren haben, Konkurs anmelden müssen. Da die COVID-19-Verordnung Insolvenzrecht nicht anwendbar wäre, bliebe ihnen als einzige Möglichkeit zur Konkursabwendung ihre Gläubiger um weitere Rangrücktritte zu ersuchen.
  • Es empfiehlt sich, den Entscheid und die Sanierungsaussichten bis Ende Jahr 2020 möglichst konkret zu begründen. Dies wird es dem Verwaltungsrat ermöglichen, Haftungsrisiken im Zusammenhang mit der Frage, ob Sanierungsaussichten gegeben waren oder nicht, möglichst zu vermeiden. Bei der Begründung ist die "Business Judgement Rule" im Auge zu behalten. Dokumente, wie die erstellte Zwischenbilanz, das angepasste Budget für 2020, die Liquiditätsplanung und allfällige Rangrücktrittsverpflichtungen sollten deshalb dem ausführlich begründeten, mündlich beratenen und protokollierten Entscheid des Verwaltungsrats beigelegt werden.
  • Unter den obengenannten Voraussetzungen entfällt die Pflicht zur Überschuldungsanzeige. Es bleibt aber dem Verwaltungsrat unbenommen, den Konkursrichter trotzdem zu benachrichtigen.

Die vorangehenden Erläuterungen gelten für alle Rechtsformen, die den gesetzlichen Pflichten im Zusammenhang mit dem Kapitalverlust und der Überschuldung unterstehen, d.h. nebst der Aktiengesellschaft gelten diese auch für die Gesellschaften mit beschränkter Haftung, Genossenschaften und Stiftungen.

COVID-19-Moratorium für KMU

Die COVID-19-Verordnung Insolvenzrecht sieht ein befristetes und formell erleichtertes Stundungsinstrument für KMUs in Form von Einzelunternehmen, Personengesellschaften oder juristischen Personen vor (COVID-19-Stundung).

Ziel des Bundesrates war es, KMUs ein standardisiertes und erleichtertes Verfahren zur Verfügung zu stellen, mit dem sich diese während der Ergreifung von Sanierungsmassnahmen vor Betreibungs- und anderen Vollstreckungshandlungen ihrer Gläubiger schützen können, um nach Ablauf der Stundung ihrer Geschäftstätigkeit wieder gestärkt nachgehen zu können.

Die Voraussetzungen für die Gewährung einer COVID-19-Stundung sind:

  1. Der Schuldner ist ein KMU; und
  2. Der Schuldner war am 31. Dezember 2019 nicht überschuldet oder es lagen Rangrücktritte im Sinne von Art. 725 Abs. 2 OR im Umfang der Überschuldung vor.

Die zentrale Bestimmungen der COVID-19-Stundung sind:

  • Definition KMU: Als KMU gelten Gesellschaften, welche keine Publikumsgesellschaften sind und welche aufgrund des Obligationenrechts auch sonst nicht der ordentlichen Revision unterliegen.
  • Verfahren: Die Gesellschaft hat ein Gesuch um Nachlassstundung dem zuständigen Gericht einzureichen. Dabei hat sie die missliche Vermögenslage glaubhaft zu machen und so gut wie möglich zu belegen (u.a. mit der Jahresrechnung per 31. Dezember 2019 und einem Zwischenabschluss). Es müssen aber keine Sanierungsaussichten dargelegt werden. Die COVID-19-Stundung wird öffentlich bekanntgemacht.
  • Wirkungen: Die Wirkungen einer COVID-19-Stundung entsprechen im Wesentlichen denjenigen der ordentlichen Nachlassstundung gemäss Art. 297 und 298 SchKG. Insbesondere können grundsätzlich keine Betreibungen mehr gegen den Schuldner eingeleitet oder fortgesetzt werden und Zivilprozesse und Verwaltungsverfahren über gestundete Forderungen werden vorübergehend sistiert. Die COVID-19-Stundung erfasst nur diejenigen Forderungen gegen den Schuldner, die vor der Bewilligung der Stundung entstanden sind. Forderungen der ersten Klasse (z.B. Lohnforderungen von Arbeitnehmern) sind von der Stundung ausgenommen. Der Schuldner darf die gestundeten Forderungen nicht begleichen, ansonsten über ihn der Konkurs eröffnet werden kann.
  • Dauer: Die COVID-19-Stundung dauert drei Monate, kann aber einmalig um maximal drei weitere Monate verlängert werden.
  • Sachwalter: Auf die Bestellung eines Sachwalters wird zwecks Vereinfachung grundsätzlich verzichtet. Ein Sachwalter kann jedoch auf Gesuch des Schuldners oder eines Gläubigers hin oder von Amtes wegen eingesetzt werden.
  • Fortführung der Geschäftstätigkeit: Der Schuldner kann während der COVID-19-Stundung seine Geschäftstätigkeit fortsetzen, sofern keine berechtigten Interessen von Gläubigern beeinträchtigt werden.
  • Überführung in Nachlassstundung: Die COVID-19-Stundung kann auf Gesuch des Schuldners hin in eine provisorische Nachlassstundung überführt werden, wobei die maximale Dauer der Nachlassstundung um die Hälfte der bereits abgelaufenen Dauer der COVID-19-Stundung verkürzt wird.

Anpassungen der Rückstellungen für Schuldenmoratorien

Nebst der Einführung der COVID-19-Stundung für KMUs, hat auch das bestehende Instrument der Nachlassstundung (Art. 293 ff. SchKG), welches allen Schuldnern zur Verfügung steht, für die Dauer der COVID-19-Verordnung Insolvenzrecht gewisse Anpassungen bzw. Vereinfachungen erfahren:

  • Mit dem Gesuch um provisorische Nachlassstundung muss neu beim Gericht kein Sanierungsplan eingereicht werden.
  • Die Dauer der provisorischen Nachlassstundung wird von vier auf sechs Monate verlängert, um der längeren Sanierungszeit im Hinblick auf die andauernde COVID-19-Pandemie Rechnung zu tragen.
  • Für die Eröffnung des Konkurses von Amtes wegen zwecks Erhaltung des schuldnerischen Vermögens oder wegen fehlender Aussicht auf Sanierung gilt eine Karenzfrist bis Ende Mai 2020. Nach Ablauf der Karenzfrist überprüft der Sachwalter die Sanierungsfähigkeit und muss bei negativem Resultat dem Gericht einen entsprechenden Antrag um Konkurseröffnung unterbreiten.