Schweizer Bundesrat eröffnet die Vernehmlassung zur Umsetzung der OECD- und G20-Mindestbesteuerung der digitalen Wirtschaft

Schweizer Bundesrat eröffnet die Vernehmlassung zur Umsetzung der OECD- und G20-Mindestbesteuerung der digitalen Wirtschaft
Seit fast einem Jahrzehnt beschäftigen sich die OECD und die G20 mit den internationalen Steuerplanungsstrategien von Konzernen und der Gewinnverschiebung sowie der Gewinnverlagerung.

Im Rahmen des mittlerweile bekannten BEPS-Projekts (Base Erosion and Profit Shifting), das mehrere Mitgliedstaaten dazu veranlasst hat, ihre nationalen Steuergesetze gemäss den Empfehlungen der internationalen Organisationen zu ändern, widmet sich der Aktionspunkt 1 speziell den steuerlichen Herausforderungen, welche durch die Digitalisierung der Wirtschaft entstehen.

Am 8. Oktober 2021 hat das Inclusive Framework on BEPS, welchem derzeit 141 Mitgliedstaaten angehören, eine Erklärung über die künftige Besteuerung grosser international tätiger Konzerne abgegeben. Diese Erklärung wurde von 137 Mitgliedsstaaten unterzeichnet, darunter alle OECD-, G20- und EU-Staaten. Es wird eine Zwei-Säulen-Lösung angestrebt:

  1. Die erste Säule wird eine gerechtere Verteilung der Gewinne und der Besteuerungsrechte zwischen den Marktstaaten gewährleisten, in denen grössere multinationalen Unternehmen – einschliesslich digitaler Unternehmen – tätig sind.
  2. Die zweite Säule zielt darauf ab, den Wettbewerb bei der Steuerbelastung für Konzerne durch die Einführung eines globalen Mindeststeuersatzes zu begrenzen, den die Länder zum Schutz ihrer Steuerbemessungsgrundlagen nutzen können.

1. Erste Säule: Neuzuweisung von Besteuerungsrechten

Im Rahmen der ersten Säule werden Gewinne und Besteuerungsrechte von multinationalen Unternehmen auf die Länder aufgeteilt und von ihren Ansässigkeitsstaaten auf die Märkte verteilt, in denen sie wirtschaftlich tätig sind und Gewinne erzielen, unabhängig davon, ob die Unternehmen dort physisch präsent sind. Unilaterale "digitale Steuern" werden abgeschafft.

Der Anwendungsbereich der ersten Säule wird sich auf internationale Unternehmensgruppen erstrecken, die einen Jahresumsatz von mehr als EUR 20 Milliarden und eine Gewinnmarge von mehr als 10 Prozent (Gewinn vor Steuern im Verhältnis zum Umsatz) erzielen. Nach Angaben der OECD und der G20 handelt es sich dabei um die etwa 100 grössten und profitabelsten Unternehmensgruppen weltweit.

In der Praxis können Staaten, in denen eine Unternehmensgruppe einen Jahresumsatz von mindestens EUR 1 Million erzielt, einen Teil der Gewinne besteuern. Für kleinere Länder ist eine niedrigere Schwelle vorgesehen. Der auf die Staaten aufzuteilende Gewinnanteil eines Unternehmens beträgt 25 Prozent des Gewinns, der die Gewinnmarge um 10 Prozent übersteigt (sog. Betrag A). Um sicherzustellen, dass der aufgeteilte Gewinn nicht doppelt besteuert wird, müssen die Staaten, in denen die Einheiten der Unternehmensgruppe mit überdurchschnittlichen Erträgen ansässig sind, voraussichtlich eine entsprechende Entlastung gewähren.

Um den Unternehmensgruppen Rechtssicherheit zu gewährleisten, gibt es ein spezielles Verfahren zur Vermeidung von Streitigkeiten im Zusammenhang mit der Aufteilung des Betrags A zwischen den beteiligten Staaten und der Ermittlung der Staaten, die eine entsprechende Entlastung gewähren müssen. Ferner unterliegen diese Unternehmensgruppen einem besonderen Streitbeilegungsmechanismus, der auch für Angelegenheiten Anwendung findet, die nur indirekt mit dem Betrag A zusammenhängen. Nach der offiziellen Erklärung vom 8. Oktober 2021 kann ein solches Abkommen Mitte 2022 unterzeichnet werden.

2. Zweite Säule: Mindestbesteuerung

Im Rahmen der zweiten Säule wird ein Mindeststeuersatz von 15 Prozent nach einer international standardisierten Berechnungsgrundlage für Unternehmensgruppen mit einem Jahresumsatz von mindestens EUR 750 Mio. eingeführt.

Die einheitliche Berechnungsgrundlage wird nach anerkannten Rechnungslegungsstandards mit einigen Anpassungen festgelegt. Erreicht die Gesamtsteuerbelastung eines Staates (sog. "jurisdictional blending") nicht die von der OECD und der G20 geforderte Mindesthöhe von 15 Prozent, wird der Gewinn aller operativen Einheiten in einem Staat unter Berücksichtigung eines Prozentsatzes auf Sachinvestitionen und Lohnkosten (sog. "Carve-out" oder Substanzabzug) mit einer zusätzlichen Besteuerung in Höhe der Differenz zwischen der tatsächlichen Steuerbelastung und der geforderten Mindestbesteuerung belegt. Gewinne aus bestimmten Vermögenswerten können daher immer noch mit weniger als 15 Prozent besteuert werden. Die zusätzliche Besteuerung wird im Ansässigkeitsstaat der Muttergesellschaft oder gegebenenfalls einer Zwischengesellschaft der betreffenden Unternehmensgruppe erhoben (sog. "Income Inclusion Rule", IIR). Führt dieser Staat die IIR nicht ein, erfolgt die Besteuerung subsidiär in den Staaten, in denen die Tochtergesellschaften der Unternehmensgruppe ansässig sind, durch Verweigerung von Abzügen oder gleichwertige Änderungen (sog. "Undertaxed Payments Rule", UTPR). Die OECD und die G20 erlauben dem Quellenstaat jedoch auch, die Differenz zur Mindestbesteuerung selbständig zu erheben (sog. "Qualified Domestic Minimum Top-Up Tax"). Diese inländische Aufstockungssteuer hat Vorrang vor der IIR und der UTPR.

Bei der zweiten Säule handelt es sich nicht um einen Mindeststandard, d.h. die Staaten sind weder politisch noch rechtlich verpflichtet, diese Mindestbesteuerung zu übernehmen. Sollten sie beschliessen, diese in nationales Recht umzusetzen, müssten sie sich gemäss der offiziellen Erklärung vom 8. Oktober 2021 an die Standards und Leitlinien der OECD und der G20 halten und die Anwendung der Standards durch andere Staaten akzeptieren.

Zeitlich gesehen wird die IIR voraussichtlich ab 2023 und die UTPR ab 2024 angewendet werden. Zusätzlich zu den im Dezember 2021 veröffentlichten Mustervorschriften wird im ersten Quartal 2022 ein erläuternder Kommentar veröffentlicht. Bis Ende 2022 wird das "Implementation Framework" erarbeitet, das die Koordination der Mindestbesteuerungsregeln zwischen den beteiligten Staaten vereinfachen soll. Mindestens bis Ende 2022 werden folglich noch einige wichtige Umsetzungspunkte offen sein.

Die zweite Säule der OECD und der G20 enthält auch eine "Subject to Tax Rule", die in die Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) mit Entwicklungsländern aufgenommen werden soll. Diese Länder können künftig eine reduzierte Quellensteuer auf Zinsen, Lizenzgebühren und andere ausgewählte Zahlungen erheben, wenn die betreffenden Zahlungen mit weniger als 9 Prozent nominal besteuert werden. Es wird erwartet, dass die entsprechenden DBA bilateral oder durch ein multilaterales Instrument geändert und ratifiziert werden.

3. Der Umsetzungsvorschlag in der Schweiz

Während die EU-Mitgliedstaaten die vorliegende Gesetzgebung im Jahr 2022 umsetzen und ab 2023 auf der Grundlage eines von der Europäischen Kommission veröffentlichten Richtlinienvorschlags anwenden werden, hat der Bundesrat am 11. März 2022 angekündigt, dass er das Projekt in zwei Schritten mittels einer Verfassungs- und Übergangsbestimmungen umsetzen will. Damit soll verhindert werden, dass bestimmte in der Schweiz tätige Unternehmensgruppen in Zukunft einer höheren Steuerbelastung ausgesetzt werden.

Insbesondere die Umsetzung der ersten Säule würde teilweise dem verfassungsmässigen Grundsatz der Gleichbehandlung widersprechen, da die von der OECD und der G20 vorgesehene Mindestbesteuerung zu einer unterschiedlichen Behandlung von betroffenen und nicht betroffenen Unternehmen führt. Daher soll, eine neue Verfassungsbestimmung eingeführt werden, die den Bundesrat ermächtigt, das Projekt auf der Grundlage zweier unterschiedlicher Steuersätze umzusetzen.

Um das Inkrafttreten am 1. Januar 2024 zu gewährleisten, soll der Bundesrat ermächtigt werden, die Mindestbesteuerung mittels einer Übergangsbestimmung in Form einer Verordnung zu regeln, die durch ein vom Parlament genehmigtes Bundesgesetz ersetzt wird, sobald genügend Klarheit über die Anwendung der internationalen Standards besteht.

Verzichtet die Schweiz auf die Einführung einer Mindestbesteuerung von in ihrem Hoheitsgebiet tätigen Konzernen, könnten andere Länder ihre Steueransprüche über die IIR oder die UTPR geltend machen. Diese in der Schweiz tätigen Unternehmensgruppen würden zwar weiterhin besteuert, die zusätzlichen Steuereinnahmen würden aber im Ausland und nicht in der Schweiz erhoben. Die Schweiz würde damit auf Steuereinnahmen verzichten, ohne einen entsprechenden Standortvorteil zu erzielen. In der Schweiz tätige Unternehmensgruppen würden zusätzlichen Steuerverfahren im Ausland unterworfen, die im Vergleich zu einer hiesigen Zusatzsteuer zusätzliche administrative Kosten und Rechtsunsicherheit mit sich bringen würden.

Der Bundesrat schlägt deshalb die Einführung einer Ergänzungssteuer vor, die sich aus der "Qualifizierten Inländischen Mindestergänzungssteuer", der IIR und der UTPR zusammensetzt. Die Erhebung der IIR bzw. UTPR unterliegt in diesem Fall den vorrangigen Besteuerungsrechten ausländischer Staaten. Erstens kann der Ansässigkeitsstaat eine Mindestbesteuerung durch eine inländische Zusatzsteuer sicherstellen. Zweitens kann der Staat der Muttergesellschaft eine IIR erheben. Erst am Ende kommt die UTPR zur Anwendung. Die Eingriffe in das schweizerische Steuersystem sollen so gering wie möglich ausfallen.

Der Bundesrat erwägt keine generelle Erhöhung der Steuersätze für alle Unternehmen: Die Ergänzungsabgabe beschränkt sich auf Konzerne, die in den Anwendungsbereich der OECD- und G20-Mindestbesteuerung fallen, und betrifft nicht KMU, kleinere Konzerne und rein im Inland tätige Konzerne, für die die heutige Gewinnsteuer des Bundes, der Kantone und der Gemeinden unverändert weiter gilt.

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